Nischen
Kunst-Werke '93 – Sparwasser HQ '02, Berlin
Als erstes will ich mit Pierre Bourdieu argumentieren, der an mehreren Stellen seines Oeuvre auf »Raum« Bezug nimmt, u.a. in dem von mir nun verwendeten Text: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. Es ist der Habitus, der das Habitat macht, in dem Sinne, dass er bestimmte Präferenzen für einen mehr oder weniger adäquaten Gebrauch des Habitats ausbildet. Dies ist ein Schlüsselsatz in Bourdieus Text. Er verweist auf die Prädominanz sozialen und kulturellen Kapitals in der Aneignung von physischen Orten, Kapitalien, die ziemlich genau festlegen, welcher Art die Nutzung, das Zurschaustellen oder Anbieten von Raum, von Objekten oder Dienstleisungen, von Positionen von Akteuren oder Gruppen an dem jeweiligen Ort zu sein hat.
Der blosse Besuch des Centre Beaubourg genügt nicht, um sich das dortige Museum für moderne Kunst geistig anzueignen; es ist nicht einmal sicher, dass man die der modernen Kunst gewidmeten Räumlichkeiten tatsächlich betreten muss, um zu entdecken, dass es nicht genügt, sie zu betreten, um jene sich anzueigenen… D.h. man muss im Besitz von kulturellem Kapital sein, um die nötige Differenzierung – auch räumlich – vornehmen zu können.
Doch zunächst einen Schritt zurück. Bevor die Off-Orte als solche, d.h. als Nischen aufgebaut werden können, sind sie als »exkommunizierte Orte« wahrzunehmen, Orte, die ihrer ursprünglichen Funktion und Aufgabe enthoben wurden. Erst in ihrer Besetzung durch Künstler, Ausstellungsmacher, offenbart sich ein spezifischer »Raumprofit«, ein »Okkupationsprofit«, dergestalt dass sich nun ein eigener sozialer Raum entfalten kann und eine Aneignung des physischen Ortes praktiziert wird. D.h. Off-Orte etablieren eine »Reifikation« eines sozialen, in dem Fall Künstler-, Ausstellungsraumes, eine Vergegenständlichung von bestimmten Kommunikationsformen, Handlungsoptionen, Verwendungsvarianten, die sich als Korrespondenz zwischen einer bestimmten Ordnung der Koexistenz von Akteuren und einer bestimmten Ordnung der Koexistenz von Eigenschaften einstellt.
Alles in allem läuft diese Argumentation darauf hinaus, erstens: auch Off-Orte in symmetrischer Beziehung zu traditionellen Kunstorten zu denken, auch sie werden im Prinzip von derselben Art von Akteuren (Produzenten wie Rezipienten) bespielt, wie Museen, Galerien… Ihre scheinbare »Deterritorialisierung«, ihr »Anderer«-Raum-Belegungsprofit ist bloss ein symbolischer Kapitalwert, der zum eigentlichen nicht in Widerspruch steht zum Kunstmarkt als solchem. Wenn es eine Art »Nische« geben kann, dann, zweitens, weil man ganz allgemein sich die Frage stellen muss: wie und inwieweit die Lokalisierung an einem Punkt des physischen Raums die Vorstellung der Akteure von ihrer Stellung im sozialen Raum, und damit: ihre praktisches Handeln affiziert. Oder, anders formuliert: gibt es vielleicht doch eine Art nicht-kapitalisierbarem, also rein »schöpferischem« Mehrwert im Sich-Verorten in »unordentlichen« Räumen, physischen Räumen also, die eine starke Eigenimmanenz aufweisen und Zeichen und Aussagen mit vorzubereiten in der Lage sind, die traditionellen Kontexten zuwiderlaufen? Damit ist gerade nicht die Fabrikation von »kontextueller Kunst« gemeint, sondern auch das, was de Certeau mit Spielraum für die Bewegungen von ungleichen Kräften und für utopische Bezugspunkte meint.
Jedenfalls verweist Bourdieu auf ein weiteres interessantes Kategorienpaar, auf das Prinzip der Vision und der Division, als Wahrnehmungs- und als Bewertungs- (Teilungs-)kategorie, als mentale Struktur. Angepasst auf die Off-Orte heisst das, dass diese sowohl als spezifische Unorte wahrgenommen werden, als auch in ihrer Bewertung für eine künstlerische Praxis bereits eine Division, eine Teilung zwischen künstlerischem Ort und nicht-künstlerischem Ort vollzogen wird. D.h. diese Off-Orte werden im Stadtkörper als »subversiv« angeeignete physische Orte rezipiert und als solche auch benutzt, besucht.