Dellbrügge & de Moll

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Hans Dickel
Form und Strategie oder: Kunst als Kommunikation im Kunstsystem
modell, Haus am Waldsee, Berlin

Am Anfang der Arbeit von Dellbrügge & de Moll stand in den 90er Jahren eine Institution, in der die Kunst gewöhnlich endet: das Museum. Das Museum für Neue Kunst in Freiburg war Schauplatz und Gegenstand ihrer ersten größeren Ausstellung (1991). Unter dem lakonischen Titel Ein Leben für die Kunst wurden Porträtfotos der Mitarbeiter dieser Institution gezeigt.

Statt ihre Werke aus dem Atelier einem anonymen Publikum zur Betrachtung anzubieten, haben Dellbrügge & de Moll hier vor Ort die verantwortlichen Amtsträger und ihre Funktionen im Museum dokumentiert. Mit jeweils einem Bild aller Beteiligten konnten sie in Freiburg exemplarisch die institutionellen Bedingungen ausstellen, denen sich die Werke der Künstler gewöhnlich anpassen müssen, um Zugang zu finden. Auf diese Weise wurden die eingespielten Modalitäten eines Kunst-Museums in einem Werk der Kontext-Kunst sichtbar - wie in einem Spiegel. Die Ausstellung setzte sich in Räumen fort, in denen andere Faktoren des Systems betrachtet wurden, darunter die Akademie, das Künstlerbild, das Publikum und die Ökonomie: Zwei monumentale Porträtfotos ihrer Professoren von der Kunstakademie, Peter Dreher und Wilhelm Loth, waren ebenso Bestandteil wie die eigenen ‘Psychogramme’. Eine von Dellbrügge & de Moll selbst eingerichtete Museumsboutique, als simulierte Souvenir-Sammlung ein Dokument ihrer Reisen durch die Bildungs-Landschaft, bot neben T-Shirts und Postern mit Statements zur Kunstrezeption auch Postkarten mit Aufnahmen von Museumsboutiquen aus aller Welt. Bei diesem Debütstück Ein Leben für die Kunst konnte man nicht sicher sein, ob es sich noch um ein studentisches Projekt am Beginn einer Künstlerkarriere handelte, etwa eine ‘Feldstudie’ zum künftigen Tätigkeitsbereich, oder ob diese schon als eine Arbeit im Sinne der damals erneuerten Institutional Critique der 70er Jahre zu bewerten war. Die Presseerklärung der Künstler belehrt uns eines besseren: »Die Ausstellung basiert auf dem Zerlegen eines Systems. Die Vorgehensweise ist vergleichbar mit dem Versuch, eine Maschine in Einzelteile zu demontieren, diese nach subjektiven Kriterien zu sortieren, um so eine eigene Anschauung der Funktionen und Zusammenhänge zu gewinnen.« Ein Leben für die Kunst war gedacht als ein Stück Dekonstruktion im Betriebssystem ‘Kunst’.

Die Auseinandersetzung mit den kulturellen Bedingungen künstlerischer Praxis, die sich zunehmend aus denen einer ‘Eigengesellschaft der Kunst’ (Michael Lingner) konstituieren, haben Dellbrügge & de Moll weiter fortgeführt. Nach dieser Analyse der institutionellen Infrastruktur eines Museums rückte der kunsttheoretische und kunstkritische Überbau ins Zentrum ihrer Arbeit, sahen sie sich doch schon bald mit Deutungen ihrer Werke konfrontiert. Mit einigem Understatement gaben sie bereits 1992 an: »Parallel zur eigenen Arbeit wächst die Ebene des Kommentars.« Sie registrierten daraufhin in den diversen Deutungen die Schlüsselbegriffe, Argumentationsketten und Deutungsmuster, derer sich Kritiker und Kunsthistoriker bedienten, die sich mit ihren Werken befaßten beziehungsweise generell zum Status der Kunst in der Gesellschaft äußerten. In Form von Zitaten führten sie die Ebene des Kommentars als Material eigener Werke wieder zurück in die künstlerische Praxis: Schreiben über Kunst (10 Bücher, 1991), Sprechen über Kunst (Laserdrucke, 1992), Der Diskurs findet hier statt (CD, 1995).

Dellbrügge & de Moll eigneten sich den Diskurs der Fachleute an, indem sie etwa ausgewählte Statements visualisierten, sie in Form einer frei erfundenen Gestik von Handzeichen körpersprachlich umsetzten. Diese Aneignung der Theoretiker-Thesen blieb aber nur zum Schein unterhalb des intellektuellen Niveaus der Kunstkritik, denn sie speiste deren Ergebnisse erneut in die Kunst ein: Die gerahmten Laserdrucke von Sprechen über Kunst dienten den Teilnehmern des Pariser Symposiums Génériques. Le visuel et l’écrit als Wandschmuck: So wurden die Statements der Kritiker als Bilder in den Diskurs zurückgegeben - Recycling als Kurzschluß, denn die tagenden Theoretiker waren nun vor Ort mit ihren eigenen Thesen konfrontiert.

Das Betriebssystem ‘Kunst’ hatte sich im Rahmen der Hochkonjunktur der 80er Jahre als ‘Eigengesellschaft’ so weit konsolidiert, daß es für die darin aufgewachsene Generation von Künstlern selbst zu einem Thema der Kunst werden mußte. Für Dellbrügge & de Moll war mit dem Studium an der Akademie in Karlsruhe, in Kenntnis der im prosperierenden Westdeutschland allenthalben erfolgreichen Malerfürsten und Professoren, die Erfahrung einer allgemeinen Akzeptanz von Kunst verbunden. Eine Situation war erreicht, in der selbst junge Maler nur noch wenige Widerstände zu überwinden hatten. Die institutionellen Voraussetzungen für herkömmliche Kunstformen waren günstig wie nie zuvor - der Betrieb florierte und expandierte. In den 80er Jahren bekamen malende Künstlerpersönlichkeiten nicht selten schon mit 35 Jahren ihre musealen Retrospektiven eingerichtet. Viele Künstler nahmen sich nun auch des Vermächtnisses der deutschen Geschichte an, ging doch in diesen Jahren mit der Auftragshausse für ‘Kunst im öffentlichen Raum’ ein wahrer Denkmalboom durchs Land. Zur Aufrechterhaltung des in den westlichen Gesellschaften mittlerweile erreichten Autonomie-Status der Kunst war es nun notwendig geworden, die Entstehung der Werke aus dem Kunstsystem heraus in die gesellschaftliche Kommunikation zu verlagern, um sie vor dem Abgleiten in bloßes Design zu bewahren. 1)

Die Antwort auf die Permissivität des Systems mit seiner scheinbar sicheren ökonomischen Basis äußerte sich bei vielen Kollegen dieser Generation in Form der sogenannten Kontext-Kunst, die Peter Weibel im Katalog seiner Grazer Gruppenausstellung zusammenfassend dokumentiert hat. 2) Diese nahm das gesellschaftliche Betriebssystem ‘Kunst’ zum Gegenstand, um »Kunst als Kommunikation im Kunstsystem« (Niklas Luhman) neu zu begründen, dessen Zusammensetzung und Umgangsformen nunmehr mitzubestimmen. Dellbrügge & de Moll stießen dabei frühzeitig, im Kompetenzstreit mit einem Kurator, auf eine Kollision divergierender Interessen: In einer von Jérôme Sans für die Wiener Secession kuratierten Ausstellung zur Funktion des Ausstellungskontextes (Viennese Story, 1993) waren sie mit ihrem Projekt zensiert worden, weil sie innerhalb der Ausstellung selbst die Rolle eines Kurators beansprucht hatten und Künstler einladen wollten. Auf diesen Konflikt im Kreuzungspunkt von Werk-Produktion und Wert-Produktion reagierten sie mit einer fiktiven Rezension ‘ihrer’ Ausstellung in der von ihnen herausgegebenen Kunstzeitschrift ‘below papers’ (Berlin 1993/94). Da diese im Bücherstand der Wiener Secession auslag, konnten die Besucher das Projekt über die Differenz wahrnehmen, die zwischen der Präsenz auf medialer Ebene und der Absenz im Ausstellungsraum entstanden war. In ihrer Reflexion eben dieses, von Thomas Wulffen als solchem gekennzeichneten »Betriebssystem ‘Kunst’« 3) ging es nicht nur darum, die Bedingungen der Distribution der eigenen Werke selbst zu formulieren, sie zumindest mitzugestalten, sondern darüberhinaus auch darum, Kunst als freie Kommunikation im Kunstsystem zu initiieren, im Horizont seiner möglichen Überschreitung. Michael Lingner und Rainer Walther erläutern diese veränderte Konstellation bereits 1984: »Die kulturellen Bedingungen der künstlerischen Tätigkeit fallen nämlich - was dem traditionellen Autonomiebegriff mit seiner Fixierung auf die Polarität zwischen den immanent-ästhetischen und den extern-gesellschaftlichen Bedingungen zumeist völlig entgeht - in die Kompetenz einer ‘Eigengesellschaft der Kunst’. Als ein von gesellschaftlichen Zwängen relativ indeterminiertes Subsystem der Gesellschaft wird diese durch die Gesamtheit derer gebildet, die Ästhetisches gedanklich reflektieren. (…) Die aus solcher ‘gedanklichen Vergemeinschaftung’ entstehende Soziabilität der kulturellen Bedingungen ästhetischer Praxis schränkt die künstlerische Selbstbestimmung nicht nur nicht ein, sie ist vielmehr die Voraussetzung für ihre gesellschaftliche (statt: bloß individualistische) Verwirklichung.« 4)

Dellbrügge & de Moll gingen im Rahmen ihrer systemtheoretischen Überlegungen zur gesellschaftlichen Konstitution von Kunst und der Auseinandersetzung mit den Differenzen zwischen Werk-Produktion und Wert-Produktion den vermeintlich ‘natürlichen’ Wurzeln alles Schöpferischen auf die Spur (Biologie der Kunst, 1992). Sie entdeckten aber auch dort ein bereits dichtes Netz der Theorie, das es zu dekonstruieren galt. Gerade in den Jahren nach 1945 hatten bildende Künstler große Erwartungen an die unbekannten Kräfte der Intuition geknüpft, so zum Beispiel Willi Baumeister: »Das Genie ‘kann’ nichts und nur damit alles. (…) Der Künstler läßt sich überraschen von dem, was unter seinen Händen entsteht.« Die Trivialisierung solcher Vorstellungen in der zweiten Generation informell malender Künstler (Eberhard Roters bezeichnete sie treffend als »internationalen Einheitssubjektivismus«) provozierte später deren Parodie. Eine mit dieser Absicht unternommene Studie zur Genealogie des Schöpferischen, von Desmond und Ramona Morris als Biologie der Kunst bezeichnet, stellte der bewußt ungegenständlichen Kunst der 50er Jahre die unbewußte Malerei von Affen gegenüber, die zu einer gegenständlichen Darstellung mangels Koordination von Kopf und Hand nicht in der Lage sind. Während die Maler des Abstrakten Expressionismus das Unbekannte evozieren wollten, beschränkt sich die unbewußte Malerei der Tiere, bei nur gering ausgeprägter Individualgestik, auf die Umsetzung der vorgegebenen Faktoren Material und Methode, die eben von den bereitgestellten Farben, Instrumenten und der Motorik der Affen (Pinselzucken) geprägt ist. Desmond und Ramona Morris betrieben mit ihren Experimenten eine Diffamierung der modernen Kunst, deren Vorgeschichte in der von den Nationalsozialisten arrangierten Ausstellung Entartete Kunst und in den späteren kleinbürgerlichen Ressentiments sie sich vermutlich nicht bewußt waren. Indem Dellbrügge & de Moll nun ihrerseits die als urtümlich schöpferisch apostrophierte ‘Malerei’ der Affen durch eine mimetisch korrekte Nachahmung als bloße Reflexhandlung bloßstellten, konnten sie das Geflecht von fragwürdiger künstlerischer Theoriebildung einerseits und deren Parodie durch Morris & Morris andererseits wieder auflösen. Sowohl die hypertrophen Ansprüche, die mysteriöse Wurzeln des Schöpferischen beschwören, werden zurückgewiesen, als auch deren Diffamierung durch Schriften wie eben beispielsweise die Biologie der Kunst. Gegenüber dieser polemisch gemeinten ontologischen Definition der Kunst als bloßer Pinselbewegung haben Dellbrügge & de Moll ihren künstlerischen Ansatz der Systemanalyse hier auf die Malerei bezogen, die durch ein Gespinst von Ideologien verstellt erscheint.

Systeme »Sämtliche Parameter des Dreiecks ‘Künstler - Werk - Rezipient’ verändern sich gegenwärtig. Der Prozeß der Moderne hatte die drei Eckpunkte mit unterschiedlichen Intensitäten aufgeladen. An seinem Beginn dominiert die ‘Künstlerästhetik’. Hinter den Werken steht der Entwurf einer ‘vollen Subjektivität’, die den ‘ganzen Menschen’ in den Blick rücken möchte. Die sich anschließende Herausbildung einer ‘Werkästhetik’ zieht sich zurück auf das Werk selbst, die Befreiung des Materials, auf die selbstbezügliche Sinnstiftung. Als Parallele bildet sich die Kommentarbedürftigkeit der Kunst heraus, die zur sich anbahnenden Dominanz einer ‘Rezeptionsästhetik’ führt. In ihrer Sphäre bewegen wir uns heute. Die Kunstwerke sind vor allem zu Stimuli in einem Wahrnehmungsprozeß geworden. Was sie an Kommunikation über Kunst in Gang setzen, macht ihre Bedeutung aus. Kunst wird zur Kunst über die Möglichkeit von Kunst. Das aber schließt ihr ‘Unmöglichwerden’ ein. Es zeigt sich als die einzige - paradoxe - Innovation, die nach dem Weg durch die Moderne noch offen ist.« 5) (Wolfgang Max Faust)

Im Zuge der Integration der Avantgarden in die gehobene Lifestyle-Kultur der 80er Jahre kann sich die Kunst demnach nicht mehr glaubhaft allein auf das ihr ‘Wesentliche’ (in der Künstlerästhetik beziehungsweise der Werkästhetik) besinnen, ohne zugleich zur Dekoration zu verkommen. Die Entwicklungsschübe der Kunst, wie die zur ‘spezifischen Form’ (Donald Judd), zur Materialgerechtigkeit (Robert Morris), zur Reflexion des Begriffs von Kunst (Art & Language), sind als Etappen ihrer Geschichte mittlerweile im Museum zu besichtigen. So werden neuerdings partizipatorische Strategien angestrebt, die zunächst das die Kunst tragende soziale und institutionelle Netz betreffen.

Es war ein Wunsch der historischen Avantgarden, dieses Betriebssystem ‘Kunst’ zu verlassen, es zu Lebenswelten des Alltags hin zu überschreiten. In der konsequenten Erfüllung solcher Wünsche entzöge sich die Avantgarde jedoch ihre eigenen Grundlagen, wie Peter Bürger argumentierte (Theorie der Avantgarde). Derartige Überschreitungsphantasien gehören zur bürgerlich autonomen Kunst: Seit ihrer Auslagerung aus der Gesellschaft verfolgt sie den Wunsch, ihr Exil zu verlassen. Dellbrügge & de Moll haben demgegenüber, wie alle Künstler der Kontext-Kunst, zunächst »im System am System« (Thomas Wulffen) gearbeitet. Sie nahmen die Rolle beobachtender Teilnehmer ein, denn eine Totalopposition erscheint heute angesichts eines permissiv gewordenen Systems weder möglich noch sinnvoll. Statt weiterhin in Stellvertretung Visionen zu entwerfen und in Kunstwerken zu vergegenständlichen, statt also vom ‘kritischen Hochsitz der Intellektuellen’ aus (Leslie H. Fiedler) gesellschaftliche Ver­hältnisse anzuprangern, um sich über sie zu erheben, kann es eine gegenwärtige Kunst vielleicht leisten, die Formen der symbolischen Verständigung über die Welt zu verändern, sie zu erweitern.

Zunächst lassen sich die eingespielten Strukturen des Betriebssystems ‘Kunst’ unterlaufen, um sie neu formulieren zu können ­- eine strategische Herausforderung an alle Beteiligten, nachdem in der Kunst »alles durchgespielt ist und nur das Spiel selbst noch zu fesseln scheint.« 6) (Henning Ritter) Dellbrügge & de Moll nehmen mit ihren Maßnahmen der Dekonstruktion eine Art Ästhetisierung des Kunstbetriebs vor, mit dem Zweck, ihn als veränderbar erscheinen zu lassen. Sie verschieben die Aufmerksamkeit vom stationären Kunstwerk auf die Partizipation an den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Distribution. Sie standen mit dieser Thematisierung der ‘Eigengesellschaft der Kunst’ seit 1990 zwar nicht allein, doch in Berlin konnten sie, anders als die in Köln arbeitenden Kollegen der Kontext-Kunst, kaum mit dem Referenzrahmen eines solchen Kontexts rechnen, denn in der ökonomisch rückständigen Zone Berlin (West) war dieser nur durch staatliche Institutionen gegeben. Dellbrügge & de Moll zielten statt dessen auf Transfermöglichkeiten zu anderen Kommunikationssystemen, etwa den Neuen Medien. In diversen Arbeiten zur Videotheorie (1992-1994) wurden, in Fortsetzung des Zyklus zum Symposium Génériques. Le visuel et l’écrit, mögliche Relationen von Text und Bild untersucht. Später rückte mit der Erfahrung des kollabierenden Ostblocks auch die Kollision zweier politischer Systeme als Thema in ihr Interessenfeld (u.a. Vokabular, Kunstkonsumentenprofile, Substitut für zeitgenössische Kunst, Kunst nach Rostock). Seitdem arbeiten sie nicht mehr nur »im System am System«, sondern zugleich mit den Möglichkeiten des Systems ‘Kunst’ auch über andere Systeme gesellschaftlicher Verständigung.

Wenn sie für ihre Kunstkonsumentenprofile (Acryl auf Leinwand, 1992-1994) renommierte Kunstvermittler nach ihrem privaten Konsumverhalten in Bezug auf Kunst befragten und die Antworten als Sprechblasen in von ihnen abgemalte Fotos aus dem Arbeitsleben (vor allem aus der sozialistischen Propaganda) einfügten, dann wurde zum eigentlichen Thema des Werkes die Begegnung verschiedener Wertvorstellungen. Einer Kolchosenbäuerin ist beispielsweise die Antwort Manfred Schneckenburgers in den Mund gelegt, während Kasper König mit einem Statement in Gestalt einer Textilarbeiterin erscheint. Hier kollidiert die westliche ‘Eigengesellschaft der Kunst’ mit den Wertvorstellungen anderer Gesellschaftsschichten. Zwei Systeme werden zusammengeschaltet, ohne in irgendeiner Weise kompatibel zu sein. Die Erkenntnis für den Betrachter liegt gerade in der Differenz zwischen den Bildern der Arbeitswelt und der Arbeitswelt des bildenden Künstlers sowie den unterschiedlichen Vorstellungen vom Mehrwert der eigenen Produktion.

Dellbrügge & de Moll operierten als Stipendiaten in Moskau sowie später als Ausstellungsteilnehmer in Rostock mit der Idee des white cube als einer Kultstätte modernistisch autonomer Kunst, für die es weder in der Hauptstadt der Perestrojka noch im Zentrum der ostdeutschen Werftenkrise einen Platz gab. Bereits zuvor hatten sie auf dem Marktplatz in Hannover-Langenhagen einen solchen white cube realisiert (Der Diskurs findet hier statt, 1995) als einen hermetisch verschlossenen Fremdkörper, der wie ein Meteorit im öffentlichen Raum plaziert war, den Blicken staunender Passanten ausgesetzt. Im Inneren akustisch besetzt durch die Geräuschkulisse einander überlagernder Gespräche zum Kunstdiskurs (Audio-Aufzeichnung), markierte dieser weiße Kubus, gegen alle Überschreitungsphantasien der ‘Kunst ins Leben’ gerade die Ausdiffenzierung verschiedener, nicht unvermittelt kompatibler Öffentlichkeiten.

In Moskau gründeten Dellbrügge & de Moll während ihres neunmonatigen Aufenthaltes ein Substitut für zeitgenössische Kunst. Ähnlich wie später in Rostock arbeiteten sie mit (Um-)Benennungen und performativen Behauptungen. Sie setzten damit einen Modus fort, der symptomatisch für die zeitgenössische Moskauer Kunstszene ist. Das Substitut gab sich offen als Phantom zu erkennen. Ausgangsort war das verlassene Atelier Ilya Kabakovs, in dem sich das Moskauer Institute of Contemporary Art befindet: Dellbrügge & de Molls Gastgeber und gleichzeitig ein kommunikatives Zentrum der Moskauer Kunstszene. Das ICA selbst betreibt eine Mimikry westlicher Schwesterinstitutionen; das Substitut verhielt sich hierzu parasitär. Aus dieser subversiven Assimilation entwickelten sie im Akt einer Inversion ihr Substitut. Eines seiner Statements zur peripheren Situation der zeitgenössischen Kunst lag auch in dessen Projektion auf einen zentralen Platz Moskaus, den Maneschnaja Ploschad unterhalb des Kremls, wo eine riesige Baugrube aufgerissen war. Die dortigen Bauarbeiten definierten Dellbrügge & de Moll als Grundsteinlegung des Substituts und verwendeten Bilder der Baustelle als Beleg für dessen Fortschritt. Die äußere Gestalt des Substituts zitierte den Grundriß des Kabakov-Ateliers, von dem aus verschiedene Bauformen bis hin zur Megastruktur einer Stadt entworfen wurden. Das Programm bestand primär aus Selbstreflexion.

Statt Werke abzuliefern, arbeiteten sie auch in Rostock vor Ort und mit dem Ort und schlugen im Rahmen der Ausstellung Ostsee-Biennale (1996) einen westöstlichen Systemtransfer vor. An die Fassaden ausgewählter Gebäude sollten Tafeln montiert werden, die diese für die Ausstellungsdauer zu Institutionen des westlichen Kunstbetriebs erklärten: Hallen für Neue Kunst, Artothek, Artclub Rostock, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Rostocker Secession, Freie Rostocker Kunstausstellung etc. In dem ablehnenden Klima zeitgenössischer Kunst gegenüber konnte das Projekt nicht ausgeführt werden.

Der Vorschlag Kunst nach Rostock war ein Potemkinsches Dorf, das sich im Kontext der Kunst-Ausstellung als semantische Provokation zu erkennen gab. Dabei wurden Widersprüche gegenwärtiger Kulturpolitik sichtbar. Was in Ostdeutschland kaum einmal ‘angedacht’ werden kann, eine flächendeckend finanzierte Infrastruktur von Kunst-Institutionen, funktioniert mittlerweile auch im Westen nicht mehr. Eine Pointe des Projekts lag auch darin, daß in diesem imaginären Transfer des Betriebssystems ‘Kunst’ einer Millionenstadt wie Berlin in eine mittlere Großstadt wie Rostock Zweifel geweckt wurden, ob ein derart eskalierendes Überangebot an Kunst, als Besetzung ehemaliger Industrie-standorte, überhaupt wünschenswert wäre. Kunst nach Rostock war als ‘ironische Dienstleistung’ (Walter Grasskamp) auch ein Stück deutsch-deutscher Aufklärungsarbeit.

Im Rahmen der Ausstellung weitergehen im Hamburger Kunstverein, die im Vorfeld zu realisierender Arbeiten im öffentlichen Raum stattfand, lieferten Dellbrügge & de Moll einen Beitrag, der nicht nur hinter die Formen der öffentlichen Ausstellung von Kunstwerken zurückgeht, sondern auch über diese Form von Öffentlichkeit hinaus. In der temporären Privatheit einer Gästewohnung auf der Fleetinsel in Hamburg führten sie Gespräche mit Fachleuten (Friedrich A. Kittler, Olaf Metzel, Franco Falsini und Manfred Schneckenburger) zu den Möglichkeiten der Kunst im öffentlichen Raum, zu Partizipation und Aus-schlußmechanismen, zur Funktion des Internet als Teil von Öffentlichkeit und seiner Veränderung von Kommunikations-strukturen. Diese Reflexionen bilden die ersten Elemente des Hamburg Ersatzes, das Dellbrügge & de Moll als ein Projekt innerhalb des Kunst-im-öffentlichen- Raum-Programms weitergehen der Kulturbehörde Hamburg ins Internet verlagert haben, wo es als work in progress ein Jahr lang entwickelt wird. Die Homepage wird dabei zu einem öffentlichen Arbeitsplatz, zur Utopie einer Stadt, die über ihre vorläufige Ansiedlung im Datenraum virtuell hinausweist.

ANMERKUNGEN
1) Michael Lingner, Zur Konzeption künftiger öffentlicher Kunst. Argumente für eine Transformierung ästhetischer Autonomie, in: Volker Plagemann (Herausgeber), Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre, Köln 1989, S. 254 ff.
2) Peter Weibel (Herausgeber), Kontext Kunst, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum Graz 1993, Köln 1994.
3) vgl. Thomas Wulffen, Betriebssystem Kunst - Eine Retrospektive, Kunstforum international, Bd. 125, 1994.
4) Michael Lingner, Rainer Walther, Paradoxien künstlerischer Praxis, in: Kunstforum international, Bd. 76, 1984, S. 60-72, hier S. 67.
5) Wolfgang Max Faust, Notizen, Texte, Meldungen - Ein Tag für Olaf Metzel, in: Olaf Metzel, Hamburger Kunsthalle 1992, S. 37, 38.
6) Henning Ritter, Immergleiches Spiel der Überraschungen. Die erschöpte Freiheit der Kunst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 1. 1998.

 

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