Guerre en forme in: Iris Därmann/ Anna Echterhölter (HG.) Konfigurationen. Gebrauchsweisen des Raums, Diaphanes 2013
Raum, so Martina Löw, ist eine relationale Anordnung sozialer Güter und Lebewesen, eine komplexe Struktur, deren Wirksamkeit an konkreten Orten in Kraft tritt. 1) Die Platzierung dieser Güter und Lebewesen ist Durch Regeln bestimmt, durch Ressourcen gesichert und in Institutionen festgeschrieben. Räumliche Strukturen bilden gesellschaftliche Strukturen ab. Gebaute Umwelt repräsentiert soziale Gruppen, formt Lebenswelten, verkörpert Wertvorstellungen, räumt Platz ein oder verengt ihn, ermöglicht Handeln oder schränkt es ein. Vermessen, Markieren, Kartieren, Gestalten, Aufbauen und Abreissen unterliegen Aushandlungsprozessen. Die Konstitution von Räumen ist verhandelbar. Die herrschende Ordnung ist lediglich das vorläufige Ergebnis von Auseinandersetzungen zwischen Kontrahenten. Die brutalste Form der Kontroverse um Raum und Ressourcen ist der Krieg. In der Folge des Dreissigjährigen Kriegs, dessen Chaos konfessioneller Konflikte die Bevölkerung dezimierte und Wohlstand vernichtete, wurde im 17. Jahrhundert der guerre en forme am Kabinettstisch – im Folgenden auch Kabinettkrieg genannt – als Modell eines rationalisierten Kriegs konzipiert: ein Krieg nach Regeln, in klaren Formen, abgegrenzten Gebieten, bestimmt von rationalistisch-mechanistischem Denken in Systemen, streng methodischem Handeln und daher gewissermassen eingehegt. Das Feindbild wurde entemotionalisiert. In vernünftigem Einverständnis trugen souveräne Gegner einen legitimen Interessenkonflikt aus, statt sich gegenseitig auszulöschen. Stehende Berufsheere ersetzten marodierende Söldnertruppen. Versorgungsdepots entlang von Marschrouten schützten die Bevölkerung vor Plünderungen. Belagerungen, zuvor meist der blutigste Teil eines Kriegs, reduzierten sich auf ein formvollendetes Spiel: Man näherte sich den nach Regeln der Geometrie erbauten Festungen mit ebensolcher Präzision, brachte die Batterien in Stellung und rechnete dem Kommandanten vor, dass er nach den Regeln Euklids besiegt sei. Diese geometrische Übung erlaubte den Verteidigern die Kapitulation, ohne dabei Ehre und Kopf zu verlieren. Entscheidungsschlachten, die Machtverhältnisse auf einen Schlag neu ordneten, blieben die Ausnahme, und Festungskriege übernahmen die Hauptrolle. Dabei punkteten die von langer Hand geplante Taktik und das bessere räumliche Argument. Wie Spitzendeckchen nehmen sich die Grundrisse der Festungen und Stadtmauern aus, die der bedeutendste Militärarchitekt der Zeit, Sébastien Le Prestre de Vauban (1633–1707), als General, Festungsbaumeister Ludwigs XIV. und Marschall von Frankreich errichtete. Ganz im Sinn des mechanistischen Weltbildes betrieb er die Befestigungs- und Belagerungskunst als mathematische Wissenschaft, in der sich jeder einzelne Akt von Angriff und Abwehr im Detail errechnen liess. Zumindest am Kabinettstisch glich dieses kriegerische Format eher einem Schachspiel als einem Gemetzel. Oder auch einem elaborierten Menuett des Todes.
DAS PROGRAMMIERTE GEMEINWESEN
Was, wenn der Krieg vorüber ist? Markgraf Christian Ernst etwa fand nach dem
Dreissigjährigen Krieg seine Ländereien verwüstet, die Truhen leer, das Ackerbürgerstädtchen
Erlangen entvölkert. Um sein Herrschaftsgebiet wirtschaftlich
zu reanimieren, erliess er ein Edikt, das den Hugenotten, deren Verfolgung 1685
unter Ludwig XIV. ihren Höhepunkt erreicht hatte, das Recht auf Ansiedlung, freie
Religionsausübung, Gleichstellung mit den Eingesessenen und eine Reihe weiterer
Privilegien gewährte. Ihr Wissensvorsprung in Sachen Produktionstechnik und
Gewerbe machten sie zu umworbenen Siedlern. Für die Neubürger wurde eine
Planstadt angelegt, die mit dem Kabinettskrieg die abgezirkelte Geometrie und
die Überzeugung der Planbarkeit von Prozessen gemein hat. Der Grundriss zeigt
eine rechteckige Anlage mit zentraler Achse, zwei Plätzen, temple, cimetière und
maison de manufacture. Fassadengestaltung und Anzahl der Stockwerke waren
vorgeschrieben. Das Ensemble mit seiner regelmässigen Architektonik und dem
einheitlichen Erscheinungsbild sollte ein ebensolch ideales und kontrollierbares
Gemeinwesen behausen. Dass ein guter Plan allein nicht reicht, wurde bald klar:
Von der mentalen Enge und dem Sozialneid der Eingesessenen abgestossen, blieben
nach anfänglichem Zulauf die Siedler aus oder brachen auf der Suche nach
besseren Verhältnissen ihre Zelte wieder ab. Die Planstadt blieb
Fragment.
WETTLAUF UM DIE POLEPOSITION
Eröffnen sich im Wettlauf ausgefeilter Methoden von Angriff und Verteidigung
nun auch für die schwächeren Parteien Chancen, sich zu behaupten? Bourdieu
winkt ab. Der Kampf um die bessere Position, um symbolisches Kapital und
soziale Distinktion bleibt in der Regel ein Wettlauf, bei dem trotz aller Überholmanöver
und Aufholjagden die besser platzierten Gruppen die Anfangsdistanz
stets zu wahren wissen. 2) Um eines eleganten Spielzugs willen sind die Stärkeren
kaum bereit, Privilegien und Definitionshoheit abzutreten. Denn über Gewinner
und Verlierer entscheidet, wer die Regeln definiert, nach denen agiert wird, wer
bestimmt, was gespielt wird, wer mitspielen darf, worüber gesprochen wird und
wer mitreden kann. Das gilt auch für die Konkurrenz um die Gestaltung und den
Zugriff auf öffentlichen Raum. Wie wird Raum aufgeteilt und distribuiert? Wie
werden Individuen und Interessengruppen darin positioniert? In welcher Form
wird ihnen Teilhabe zugestanden?
Deutlich wird das aktuell an der Bau- und Bevölkerungspolitik Hamburgs.
Keine andere deutsche Grossstadt sortiert ihre Bewohner geografisch so säuberlich
nach sozialen und ethnischen Kriterien, nirgends ist die Segregation so ausgeprägt.
Mit der Entwicklung der HafenCity expandieren nun die Besserverdienenden
ihr Hoheitsgebiet von der Innenstadt in den Hafenbereich. Der Abstand zu den
Unterprivilegierten jenseits der Elbe schrumpft und die südlichen Elbinseln, die
Armenhäuser Hamburgs, geraten in den Fokus der Planer. Die verkehrstechnisch,
infrastrukturell und sozial im Abseits gelegenen Bezirke Wilhelmsburg und insbesondere
Veddel werden von den Hamburgern auf der richtigen Seite der Elbe
bislang als no-go-area betrachtet.
Was lange bequem war, wird zum Problem, soll der erwähnte soziale Abstand
gewahrt bleiben. Unter diesem Blickwinkel gewinnt der “Sprung über die Elbe”,
den die Internationale Bauausstellung Hamburg (IBA, 2007–2013) propagiert,
den Charakter einer militärischen Invasion. Während die IBA auf den südlichen
Elbinseln hochpreisige Wohnprojekte für den gehobenen Mittelstand entwickelt,
investiert die Stadt in die “Normalisierung der Bevölkerungsstruktur”. Das bedeutet
Subventionen für angehende Akademiker, während die jetzigen Bewohner vor
steigenden Mieten kapitulieren. 3) Bleibt dem Prekariat keine andere Perspektive,
als immer weiter an die urbane Peripherie zurückzuweichen? Es ist an der Zeit, die
Lage zu sondieren, die Bestände zu sichten und neue Spielzüge zu erdenken.
PLANSPIEL LANDRUN
Die Elbinsel Veddel, heute in der Zange der Begehrlichkeiten zwischen HafenCity
und IBA, wurde 1928 nach Plänen von Oberbaudirektor Fritz Schumacher mit
einer Kolonie für hamburgische Hafenarbeiter bebaut. Die geschlossene Anlage
bietet wenig Freiraum für Manöver. Aber mit der öffnung des Freihafens steht auf
dem benachbarten Kleinen Grasbrook eine Fläche von 4,5 km2 zur Disposition,
die von der Hamburg Port Authority verwaltet wird und bislang durch Zollzäune
abgeriegelt ist. Noch reifen hier Bananen, und Schrottautos warten auf ihre Verschiffung
nach Afrika. Der Plan für eine Umsiedlung der Hamburger Universität
auf das Gelände wurde verworfen. Die Zukunft der zentralen Brache, Stepstone für
den “Sprung über die Elbe” und nur einen Steinwurf von der HafenCity entfernt,
ist offen. Dieser Freiraum provoziert Besetzung. Das Modell, das wir ins Feld führen,
bringt ein Gegenmodell zur aktuellen Stadtentwicklungspolitik ins Spiel. 4) Das Szenario: Mit dem Fall der Zollgrenzen wird der Kleine Grasbrook von der
Stadt Hamburg für die Besiedlung freigegeben. Wir machen Tabula rasa und fangen
leer an. Schliesslich war auch Schumachers Zeitgenosse Le Corbusier bereit, für
seinen Plan Voisin die gesamte Pariser Innenstadt zu planieren. Ist Platz geschaf-
fen, geht es an die Verteilung der Claims. Das Land wird kleinteilig parzelliert und
an siedlungswillige Veddel-Bewohner verschenkt. Für die Umsetzung entlehnen
wir ein Besiedlungsmodell aus der Geschichte Nordamerikas, den land run. 5) Mit
dem Versprechen von Land warben die Vereinigten Staaten ab Mitte des 19. Jahrhunderts
Siedler, um das letzte Stück nordamerikanischer Wildnis zu erschliessen
– Indianerterritorien, die nach der Zwangsumsiedlung der Ureinwohner als
no man’s land, unassigned land oder als public land deklariert wurden. Unter der
Bedingung, dass das Land bewohnt, bewirtschaftet und bebaut würde, verschenkte
der Staat Grundstücke von bis zu 16 acres (0,64 km2). Die Nachricht von freiem
Land verbreitete sich rasch, nicht nur unter Spekulanten, sondern auch unter der
perspektivlosen Landbevölkerung Europas, die auszog, um in Amerika ihr Glück
zu machen. Der prominenteste in einer Reihe von sieben land runs ist der Oklahoma
land run. 50.000 Landhungrige gingen am 22. April 1889 um 12 Uhr mittags
an den Start. Der Startschuss fiel und der Wettlauf um die besten Parzellen begann,
zu Pferd, mit Gespannen, auf Fahrrädern und sogar zu Fuss. Abgesehen von Farmbesiedlung
und Agrikultur entstanden auf diese Weise im Niemandsland Städte
über Nacht. Die Stadt Guthrie zählte am Vormittag des land run noch null Einwohner
und bei Einbruch der Nacht bereits 10.000. Ein rudimentäres Strassennetz
war angelegt, die Rahmen der Holzhäuser waren hochgezogen und die Grundzüge
einer städtischen Verwaltung festgezurrt worden. Natürlich gab es nicht nur
Gewinner. Auf einen erfolgreichen Siedler kamen zwei, die enttäuscht wieder abzogen,
weil kein Claim mehr übrig war, der eine Investition lohnte.
OBERFLÄCH UND IDEOLOGIE
Auch auf dem Kleinen Grasbrook sind die Ressourcen begrenzt. In den Fingern
von Investoren und Spekulanten ist die Freifläche von 4,5 km2 in bester Lage eine Goldgrube,
denn die Bodenpreise im Stadtstaat
Hamburg, der sich als “wachsende Stadt” positioniert, rangieren im Vergleich der
Bundesländer an der Spitze. Entgegen dem Ökonomismus der Kaufmannsstadt
soll es dieses Mal nicht um Profit gehen, sondern um ein Siedlungsexperiment.
Die Teilnahme am Wettlauf behalten wir den Verlierern der Gentrifizierung vor,
jenen knapp 5.000 Bewohnern der Veddel, die von der aktuellen Stadtentwicklung
aus ihrem Viertel gedrängt werden. Wer sind diese Bewohner? Die hamburgischen
Hafenarbeiter, für die die Siedlung errichtet wurde, sind längst ausgezogen. Zwar
leben in den Backsteinkasernen immer noch die Unterprivilegierten. Aber die
Zuwanderung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren und die Bevölkerungspolitik
der letzten Jahrzehnte hat den Stadtteil in eine multiethnische Enklave mit Menschen
aus rund 40 Herkunftsländern verwandelt.
An dieser Stelle möchten wir noch einmal an die Planstadt erinnern und ihr
Programm, durch Design die Gesellschaft zu gestalten. Bauen beansprucht nicht
nur Boden. Bauen schafft Atmosphären und Atmosphären entscheiden, wer sich
deplatziert zuhause fühlt. 6) Kubaturen und Strassenverläufe
beeinflussen die Orientierung, formen im Alltag Routinen und Gewohnheiten.
ästhetische Oberflächen kommunizieren kulturelle Codes und regeln Zugehörigkeit
und Ausschluss, gewähren oder verwehren Zugang. Glas- und Klinkerfassaden,
Holzpaneele und Betonverkleidungen, Metallvorhänge und
Naturstein markieren Territorien. Diese Komponenten gebauter Umwelt konstituieren
eine place identity. 7) Dieses Prinzip ist auch auf der Veddel wirksam. Während Oberbaudirektor Fritz
Schumacher die Siedlung für hamburgische Hafenarbeiter plante, lag ihm daran, in
der Hansestadt den roten Klinker als dominierendes Baumaterial durchzusetzen.
Der architektonische Mantel sollte das Stadtbild vereinheitlichen, beruhigen und
die Bewohner als Statisten der Strasse disziplinieren. Immerhin war Schumacher
auch Bühnenbildner und mit der Schaffung von Atmosphären vertraut. Die Klinkerfassaden
sollten der Siedlung eine eindeutige, nämlich hamburgische Identität
verleihen. 8) Nur 20 Kilometer nördlich der Veddel hatte die Neue Heimat 1939/40 die
Schwarzwaldsiedlung Langenhorn gebaut. Mit rustikalen Putzfassaden, Holzverschalungen,
Fachwerk und Fensterläden kamen bauliche Elemente zur Anwendung,
die als irgendwie süddeutsch empfunden wurden. Erklärte Absicht war,
in diesem Ambiente den Feinmechanikern der Junghans-Werke, die aus dem
Schwarzwald nach Hamburg zogen, um für den Rüstungsbetrieb Messap Bombenzünder
zu bauen, das Heimischwerden zu erleichtern. Man siedelte sie in Kulissen
ihres ursprünglichen Habitats an. Mit dem Transfer von Heimat in Form von
Architektur kam das gleiche Prinzip wie auf der Veddel zur Anwendung, nur mit
anderen Elementen und anderen Ergebnissen: Klinkerfassaden – hanseatisch,
Fachwerk – süddeutsch. Die reinste Homogenitätszumutung, würde Martina Löw
vermutlich diagnostizieren.
Wie sähe ein Habitat aus, das der ethnischen Vielfalt der Bewohner entspricht? Wie könnte ein Siedlungsexperiment aussehen, das die Wechselwirkung von gebauter Umwelt und Identität erforscht? Das Prozedere ist simpel: Ein Datum wird festgelegt, die Siedler gehen an den Start, der Startschuss fällt, der Wettlauf beginnt, der Claim wird abgesteckt und registriert – schon ist man Besitzer von Bauland. Aber mit dem Geschenk von Land allein ist es nicht getan. Der zweite Schritt, der Planern und Politikern noch schwerer fallen dürfte, ist, die Gestaltungshoheit an die Bewohner abzutreten und sie individuell und ohne Vorgabe bauen zu lassen. Der Planer tritt aus der Rolle des Experten heraus, der den Anspruch erhebt, Qualität zu sichern und für die Unkundigen zu sprechen, die keinen logos haben. Statt Vereinheitlichung und Homogenität wird Vielfalt und Heterogenität begünstigt. Ob eine Assemblage von Bambushütten, Jurten und Favelas, Plattenbauten und Palästen das Ergebnis sein wird, sei dahingestellt. Nicht nur Menschen migrieren, sondern auch Architekturen. Das essentialistische Bild des Fremden hat mit deren Selbstbild möglicherweise nicht mehr viel zu tun. Aber das kann erst sichtbar werden, wenn die Stadt sich auf das Experiment einlässt. 9) Ein Geschenk ist eine Herausforderung, die bestenfalls einen kommunikativen Prozess in Gang setzt. Im Geschenk erkennt Bourdieu das Potential der Verbind- lichkeit, der Verbindungen und Bündnisse, das jedoch zwischen Herrschafts- und Solidaritätsmechanismus stets ambivalent bleibt. 10)
ANMERKUNGEN
1) Löw, Martina: Raumsoziologie, Frankfurt 2001, S. 224.
2) Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, übers. von
Bernd Schwibs und Achim Russer, Frankfurt 1982, S. 266−268. Sowie Löw: Raumsoziologie, a.a.O.,
213.
3) Die Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei brachte 2003 die “Förderrichtlinie Studentisches
Wohnen auf der Veddel” auf den Weg, die bis 2014 mit jährlich 200.000 Euro subventioniert wird.
Auf dem hochpreisigen Hamburger Wohnungsmarkt gelten 178 Euro für ein Zimmer als Schnäppchen.
Rund 340 Studierende machen von dem Angebot Gebrauch. “Im Interesse der deutschen
Bevölkerung und für die bessere Integration der Nichtdeutschen”, so der damalige CDU-Fraktionschef
in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte, Henning Finck, “ist es wünschenswert, den Zuzug
deutscher oder dem Kulturkreis nahe stehender Studenten auf die Veddel zu unterstützen.”
4) Vgl. http://neueheimat.perfectlocation.de (aufgerufen: 30.01.2012).
5) In den Vereinigten Staaten wurden zwischen 1889 und 1895 sieben land runs organisiert, eine
Alternative zum Verkauf von Land oder zum Lotterieverfahren.
6) Im Hamburger Hauptbahnhof läuft Mozart vom Band, um durch die angenommene Inkongruenz zur kulturellen
Identität von Obdachlosen und Junkies unerwünschte Elemente zu vertreiben.
7) Waldenfels, Bernhard: Ortsverschiebungen, Zeitverschiebungen, Frankfurt 2009, S. 83.
8) Nur am Rande sei erwähnt, dass zeitgleich in Hagenbecks Tierpark die Kongruenz von Heimat
und Habitat in Völkerschauen vorgeführt wurde, in denen exotische Volksstämme in architektonischen
Kulissen ausgestellt wurden.
9) Vgl. dazu Martha Nussbaum in einem Interview mit Thomas Assheuer, in: Die Zeit, 20. Januar
2011: “Ich habe jede Form von Identitätspolitik immer kritisiert, also die Idee, eine kulturelle Gruppe
solle sich von anderen Gruppen absondern und sich auf die Durchsetzung ihrer Interessen konzentrieren.
[…] Ich glaube nicht, dass Multikulturalismus in Europa gescheitert ist. Er ist in gewissem
Sinne nicht wirklich versucht worden. Denn Europa hat die nationale Identität oft als eine Sache
der Rasse und der ethnischen Zugehörigkeit betrachtet. – Die Zeit: Einwanderer werden nur dann
akzeptiert, wenn sie sich der Mehrheitskultur anpassen? – M.N.: Ja. In Europa haben Einwanderergruppen oft nur dann Anspruch auf gleiche Achtung, wenn sie die Kultur der Mehrheit annehmen. Erst wenn wir diese Konzeption der homogenen Nation aufgeben, können wir uns Hoffnung machen, dass die Staatsbürgerschaft neuer Gruppen voll und ganz akzeptiert wird. Die USA, aber auch Indien haben übrigens eine andere, viel dynamischere Vorstellung von nationaler Identität. Sie macht eine
respektvolle Haltung gegenüber der Vielfalt religiöser und säkularer Lebensstile einfacher.”
10) Hillebrandt, Frank: “Der Tausch als strukturbildende Praxisform. Zur symbolischen Dimension
eines sozialen Mechanismus”, in: ders. und Michael, Florian (Hg.): Pierre Bourdieu. Neue Perspektiven
für die Soziologie der Wirtschaft, Wiesbaden 2006, S. 147−169, hier S. 159.
Abb. 5: Dellbrügge & de Moll, Neue Heimat, Siedlungsprojekt für den Kleinen Grasbrook Hamburg,
Detail, 2010.