Betriebssystem Kunst - Eine Retrospektive
Dellbrügge & de Moll
Kunstforum International, Bd. 125
Für die Ausstellung '30 11' in der Pariser Galerie des Archives entwarfen Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll eine einfache Postkarte mit einem Fliessdiagramm, übertitelt "Der Papierkorb". In diesem Diagramm ist das Schicksal vieler künstlerischer Ideen ablesbar. Am Anfang steht der Künstler, am Ende der Kompost. Auf der Rückseite der Karte ist zu lesen: "Im Rahmen der Ausstellung '30 11' erwarten wir (die Künstler, T.W.) Informationen und Materialien über ihre künstlerische Arbeit." Die Künstler erhielten nichtsdestotrotz Informationen.
Das Künstlerpaar arbeitet im System am System. Grundlage dafür ist die genaue Beobachtung der unterschiedlichen Prozesse und Regeln, die das Betriebssystem aufrechterhalten. Die Beobachtungsergebnisse sind dabei sehr unterschiedlich, ebenso wie die Beobachtungsfelder. Das kann genausogut ein Eröffnungsbüfett anlässlich einer Ausstellung sein wie der Versuch, mit Hilfe von Sponsoren ein solches Büfett selber zu arrangieren. Im Gegensatz zum üblichen Verfahren, in dem der Misserfolg verschwiegen wird, haben Dellbrügge/de Moll ihren fehlgeschlagenen Versuch an die Öffentlichkeit gebracht. Das Büfett selber sollte in diesem Falle nicht auf ein anderes Ereignis hinweisen, sondern stand für sich selber. Mit der Veröffentlichung der angesprochenen Sponsoren und der verweigerten Unterstützung wird das Täter-Opfer-Verhalten umgedreht. Nicht mehr der Künstler ist das Opfer, sondern der Sponsor.
In ähnlicher Weise funktionierte auch der Zyklus "Schreiben über Kunst". Dafür entnahm das Künstlerpaar aus bestehenden Artikeln verschiedener Kritiker und Kuratoren jeweils kurze Zitate, die sich auf das eigene Werk bezogen, und schuf daraus eine eigenständige Arbeit. Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Sprachstile macht die Vermittlungsebene zeitgenössischer Kunst deutlich.
Das Werk "Schreiben über Kunst" thematisiert dies und ist gleichzeitig eine Arbeit dieses Systems.
In einer weiteren Arbeit benutzen sie ebenfalls Zitate von Kritikern, die mit Beispielen aus dem Gestenrepertoire der Taubstummensprache bebildert waren.
Diese Selbstthematisierung wird auch in den Ausstellungen des Künstlerpaares deutlich. In dem Museum für Neue Kunst in Freiburg installierten sie eine Raumfolge, die einzelne Bedeutungsebenen von Ausstellungen deutlich werden liess: Museum, Boutique, Botschaft, Künstler, Besucher, Experiment, Akademie. Unter dem Begriff Museum waren im Bild alle Museumsmitarbeiter festgehalten. In der Boutique konnten T-Shirts erworben werden, die Texte trugen wie "Gemälde sind keine Aktien an der Wand, sondern Quellen der Lebensfreude". Die Ausstellung im Freiburger Museum für Moderne Kunst trug den Titel "Ein Leben für die Kunst", und das bezog sich hier nicht allein auf das Künstlerpaar, sondern ebenso auf die Besucher, die Mitarbeiter des Museums und die Institution selber.
Der jüngste Gemäldezyklus von Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll unter dem Titel "Kunstkonsumentenprofile" arbeitet ebenso auf der Rezeptions- wie auf der Wirkungsebene. Ausgangspunkte sind die Ergebnisse eines Fragebogens, der an wichtige Repräsentanten des Kunstsystems versandt wurde. Der Antworten auf Fragen wie "Wo kaufen sie sich Kunstwerke?" wurden in Gemälde eingesetzt, die der Bilderwelt des Sozialismus entstammten. Die Gegenüberstellung von arbeitender Bevölkerung an Hochöfen, auf den Feldern und in Fabriken wirkt wie ein Kommentar zu den Antworten, relativiert die Frage nach der Kunst und ist und bleibt doch Kunst. Die alte Form, Ölgemälde in Grisailletechnik, scheint darauf hinzudeuten, daß die Antworten letztendlich sich auf ein altes System beziehen, das überwunden werden muss.
Dazu gehört die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kurator und Künstler. Für ein Ausstellungsprojekt in Wien entwarf das Künstierpaar einen eigenständigen Ausstellungsbeitrag unter dem Titel "Minimal Curating". Dazu sollten weitere Beiträge zum Thema von anderen Künstlern eingebracht werden. Mit dem Projekt aber stiessen die Künstler auf die Ablehnung des Hauptkurators, der sich nicht in seiner Rolle als Kurator in Frage stellen lassen wollte. Dellbrügge/de Moll begriffen ihren Beitrag aber als eine Art Modellrechnung, in der die Position des Künstlers und des Kurators zur Diskussion gestellt wird. Das Gesamtwerk von Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll kann als eine Modellrechnung des Betriebssystems Kunst begriffen werden.